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Blog Interview

[Interview] Prokrastination – Carla von mach-ich-morgen.com

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Heute hatte ich die Gelegenheit die Macherin von „mach-ich-morgen.com“ zu interviewen. Carla beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Prokrastination, was so viel heißt wie „Aufschieben“ oder „Aufschieberitis“…

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Hallo Carla, schön, dass Du dir Zeit nimmst für ein kurzes Interview ;) 

Hallo Bene, gerne! Ich bin gespannt auf Deine Fragen ;)

Du betreibst den Blog mach-ich-morgen.com. Magst Du kurz erzählen, worum es thematisch geht und wie du auf die Idee gekommen bist?

Seit langem bin ich auf einer Entdeckungstour zu dem Thema Prokrastination & Aufschieberitis. Zum einen war ich als Schülerin selbst sehr betroffen: Berge an nicht gelernten Vokabeln und nicht gemachten Hausaufgaben. Zum anderen konnte ich während meiner Studienzeit beobachten, wie viele Bekannte, Freunde oder Menschen in Tutorien an diesem Problem litten.

Während meines Masters habe ich auch innerhalb der Profession „Soziale Arbeit“ über Überschneidungspunkte nachgedacht. Der Blog war als praktische Begleitung meiner wissenschaftlichen Abschlussarbeit gedacht. Eine wissenschaftliche Umsetzung mit dem Medium Blog fand ich sehr herausfordernd, daher ist der Blog selbst nun umgangssprachlich gehalten.  Der Blog wirkt eher wie ein Ratgeber und ich nutze keine wissenschaftliche Sprache. Trotzdem weiß ich, worüber ich schreibe, da ich fast alle mir zugängliche Fachliteratur dazu gelesen habe, selbst Studentin war und mir Leser*innen mit ihren Erfahrungen schreiben.

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Der Blog von Carla – mach-ich-morgen.com

Prokrastinieren wir nicht alle ein bisschen? Also wo ist das Problem dabei? 

Ja, da hast du vollkommen Recht. Innerhalb der umgangssprachlichen Bedeutung ist Prokratsination sicher vollkommen normal und für Menschen sogar gut.

Prokrastination kann vor Überforderung und Burnout schützen oder aber Anzeichen für tiefere Probleme sein.

Es gibt viele verschiedene psychologische Definitionen von Prokrastination. Glücklicherweise ergänzen sie sich ausschließlich und wiedersprechen sich nicht.  Für mich wird Prokrastination dann zum Problem, wenn Aufschieben sich immer wieder wiederholt und die Betroffenen selbst ihre Handlungen als vollkommen irrational einschätzen und sich nicht in der Lage fühlen etwas daran zu ändern. Betroffene leiden häufig unter der eigenen Diskrepanz zwischen Absicht und Handlung.

Welche Tipps hast Du, wenn man mal wieder lieber das Zimmer aufräumt, statt für die Klausur zu lernen / das Exposee zu verfassen und so weiter…?

Aufschieben tritt immer dann auf, wenn man sich mit irgendetwas nicht 100% wohl fühlt. Sei es eine unklare Aufgabenstellung oder eine Gliederung. Wichtig ist es, herauszufinden, warum Deine aversiven Gefühle entstehen. Das Ziel sollte es sein, Deine aversiven Gefühle zu verringern.

In einem zweiten Schritt habe ich die Erfahrung gemacht, dass man häufig Vorannahmen hat, die meist nicht stimmen. Oft hat man die Idee: „Das kann ich den Dozenten nie fragen“ oder „es wäre peinlich, jemanden um Hilfe zu bitten“. Häufig ist das für andere halb so wild.

Gerade Menschen die unter Aufschieberitis leiden, können die Zeit welche sie für Aufgaben benötigen, nicht mehr einschätzen. Meistens unterschätzen sie ihre eigene Leistungsfähigkeit.

So nimmt man sich häufig vor, sich heute mindestens 8 Stunden in die Bibliothek zu setzen oder in den nächsten Wochen allen schönen Dingen des Lebens Lebewohl zu sagen. Dieser Mount Everest von Aufgaben macht Angst und schüchtert ein.

Ich selbst bin ein großer Fan von kleinen Zeiteinheiten. Man nimmt sich in den nächsten 25 Minuten vor, etwas Bestimmtes zu tun. Wenn man nicht hineinkommt ist es auch ok.  Diese Technik nennt sich Pomodoro-Technik.

pomodoro

Magst du die Pomodoro-Technik kurz etwas näher erläutern? 

Die Pomodoro-Technik geht auf Francesco Cirillo zurück. Kurz gesagt stellt man sich einen Küchenwecker (Tomate) auf 25 Minuten und nimmt sich eine Aufgabe vor. In den nächsten 25 Minuten darfst Du nichts anderes tun, also auch nicht abbrechen. Denn selbst wenn Du in Minute 22 mit Deiner Aufgabe aus Langeweile beginnst, hast Du den Start gewonnen.

Nach den 25 Minuten entscheidest Du neu, ob Du weitere 25 Minuten starten magst. Natürlich erst nach einer Pause. Charmant finde ich an der Pomodoro-Technik auch die Außenwirkung: Man kann Mitmenschen, Arbeitskollegen oder selbst kleine Kinder einfach vertrösten, denn selbst 24 verbleibende Minuten sind verkraftbar und man kann eine klare Ansage machen.

Kannst Du mir vielleicht weitere Tools nennen, die mir dabei helfen meine Aufgaben besser zu bewältigen? 

Eine weitere Überlegung rettet mich mittlerweile häufig. Ich nenne es Zeitmanagement-Rückwärts. Diese Überlegung ist dem Projektmanagement entliehen.

Ein Beispiel: Deine Prüfung ist in 54 Tagen. Eine Menge Zeit also – gar kein Stress! Denkst Du – ist aber nicht so. Von den 54 Tagen ziehe alle Tage ab, die reserviert sind. Für Uni, Geburtstage Deiner Verwandtschaft oder andere feste Zeiten. Wenn man dann die Wocheneneden herausrechnet und im Voraus einige Zeit für Prokrastination oder Unvorhergesehenes einplant, bleiben gar nicht mehr so viele Tage übrig. Dies hilft bei einer realistischen Zeiteinschätzung und lässt sich auch auf einzelne Tage oder andere Zeiteinheiten herunterbrechen.

zeitmanagement-rueckwaerts

Was wenn das nicht hilft / nicht geholfen hat? 

Für ganz harte Prokrastinierende empfiehlt es sich, die Arbeitszeit zu verknappen. Das hört sich komisch an, ist aber so. Viele Menschen, welche zum Beispiel Abschlussarbeiten aufschieben, beschäftigen sich 24/7 Stunden mit der aufgeschobenen Arbeit. Sie kommen innerlich nie zur Ruhe aber tun nichts zielführendes. Dieser Zustand kann sich über Wochen, Monate und Jahre hinziehen.

Stellt man ihnen nun die Aufgabe, höchstens eine halbe Stunde (Zeit individuell unterschiedlich) am Tag zu arbeiten und verordnet ihnen am restlichen Tag schöne Freizeit, dann schaffen sie meist mehr als zuvor. Die Prokrastinationsambulanz Münster arbeitet unter anderem mit dieser Methode.

Wenn jemand über einen sehr langen Zeitraum Dinge aufschiebt, dann kann dies natürlich auch zu psychischen Problemen führen oder mit solchen zusammenhängen. Eine professionelle Unterstützung kann hier helfen. Wichtig ist: Nicht sofort aufgeben, wenn es mit der ersten beratenden Person nicht läuft.

Danke Carla! Da war viel Neues für mich dabei. Wo kann ich mich noch informieren, wenn ich mehr über Dich und deine Projekte wissen mag?

Momentan bin ich nur auf dem Blog www.mach-ich-morgen.com aktiv. Ob und wie ich in die Richtung weitergehe, also neue Projekte starte, weiß ich noch nicht.

Von Benedikt Geyer

Mein Name ist Benedikt Geyer. Auf meiner Seite verblogge ich Interessantes rund um die Soziale Arbeit & neuere Medien und deren gegenseitige Wechselwirkung.