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9. Bundeskongress Soziale Arbeit 2015

von Leila Grosse & Benedikt Geyer

BuKo

Inhaltliche Ausschnitte

Der Bundeskongress Soziale Arbeit 2015, stand unter der Überschrift „Politik der Verhältnisse – Politik des Verhaltens: Widersprüche der Gestaltung Sozialer Arbeit„.

In der Programmankündigung hieß es:

Im Zeichen der neoliberalen Restrukturierung gesellschaftlicher Konfliktverhältnisse hat sich in der Sozialpolitik und der Sozialen Arbeit ein tiefgreifender und folgenreicher Wandel in den handlungsleitenden Orientierungen vollzogen: Eine Politik der Verhältnisse, die primär gesellschaftsstrukturelle Bedingungen von sozialer Ungleichheit und Ausschließung (Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit, Armut etc.) problematisiert, wird von einer Politik des Verhaltens verdrängt. Letztere richtet den Fokus in erster Linie auf die ‚Diagnose‘ und ‚Behandlung‘ von individuellen Verhaltensdispositionen, Persönlichkeitsmerkmalen, Wertorientierungen, subjektiven Einstellungen und Fähigkeiten (der Arbeitslosen, der Wohnungslosen, der Armen etc.). Möglichkeiten der Teilhabe werden damit zunehmend versperrt.

Über drei Tage hinweg wurden unter ebendieser Perspektive Veranstaltungen für das interessierte Fachpublikum angeboten. Die Eröffnungsveranstaltung, welche in einer größeren Sporthalle stattfand, bestand aus Grußworten und drei Impulsvorträgen. Erstere enthielten jeweils einen Werbeblock für die eigene Politik, die eigene Hochschule oder Programmatik.

Ein interessanter Aspekt der Eröffnung: Der erste Impulsvortrag kam nicht von einem oder einer Sozialarbeiter_in, sondern vom Soziologie-Professor Dr. Stephan Lessenich, welcher als Nachfolger Ulrich Becks an der LMU München lehrt. Sein Vortrag „Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so: Zwischenbetrachtungen im Prozess der Aktivierung“ bestach zunächst in erster Linie durch die ausdrucksstarke Sprache, viel nachdenkenswertem Input und nicht zuletzt durch die charmante Vortragsweise. Der Versuch, den Inhalt auf eben solche Art zusammenzufassen wäre zum Scheitern verurteilt (zumal der Vortrag zeitnah an anderer Stelle veröffentlicht werden soll).

Auffallend zudem: Alle drei Vorträge blieben zunächst auf einer eher analytischen Ebene. Wer praktische Hinweise für das eigene professionelle Handeln suchte, bekam Anregungen zum „Weiterdenken“, jedoch darüber hinaus wenig aus der Theorie abgeleitete handlungsorientierte Impulse.

Wer solche suchte, war beim „Genug geklagt. Was tun?! Aktiv-Workshop“ besser aufgehoben. Professor Dr. Johannes Herwig-Lempp von der Hochschule Merseburg hielt, was die Ankündigung seines Workshops versprach: Den Fokus auf eine Orientierung am Möglichen und Unmöglichen zu legen.  In aktivierenden Gruppenmethoden konnte für die Teilnehmenden ein Perspektivwechsel in Bezug auf Protest stattfinden: „Was können wir tun und was brauchen wir hierzu?“. Herwig-Lempp führte uns zum Abschied des Kongresses in eine Richtung, die auf teils überspitzte und ironische Weise aufzeigte, was alles möglich sein kann, wenn wir uns in unserer Profession zu wehren beginnen und Macht wieder als die Möglichkeit begreifen, Dinge zum Besseren zu verändern. Denn Widerstand – aus einem ressourcenorientierten systemischen Ansatz heraus – lebt vom Versuch, nicht vom Erfolg.

Lust sich mit der eigenen wissenschaftlichen Laufbahn auseinander zu setzen machte der Workshop „Promotion nach FH-Abschluss in Sozialer Arbeit: Behinderungen und Widerstand“ von den Professoren Dr. Rudolf Schmitt und Dr. Sebastian Schröer. Neben Fragen der allgemeineren und grundlegenden Art wurden auch sehr spezifische Fragen rund um die Promotion beantwortet. Die Leidenschaft und das Engagement der Referenten zeigte sich nicht nur in der Beantwortung jeder eingebrachte Frage, sondern auch durch die Verweise auf weitere eigens eingerichteten Informationsquellen.

Als „Workshop“ ausgerufen, überzeugten die weiteren von uns besuchten Veranstaltungen jedoch eher als theoretisch-inhaltliche Vorträge, nicht als Plattform zur aktiven Auseinandersetzung mit konkreten Widersprüchen innerhalb unserer Profession. Dennoch – auch innerhalb der kurz bemessenen Zeit von etwa 15 Minuten am Ende der „Workshops“, in denen bspw. „-ismen“ als Kategorisierungsmerkmale zur Diskussion standen, in denen Fragen zur Messung von Beratungskompetenz aufgegriffen wurden oder die Notwendigkeit einer eigenständigen Profession der Medienpädagog_innen diskutiert wurde, konnten sich einige tiefergehende Reflexionen entwickeln.

Ausbleibende Resonanz

Erschreckend für uns ist zu sehen, dass bis heute die mediale Berichterstattung (zumindest online) über oder von dem BuKo ausblieb. Lediglich der Regionalzeitung ECHO Online war der Kongress ein Bericht wert.

Hier darf zurecht gefragt werden, ob es eben nicht auch die „Signalwirkung“ eines solch politischen Kongresses ist, die die Politik der Verhältnisse der Sozialen Arbeit für die Gesellschaft widerspiegeln kann, zumindest jedoch Hinweise auf diese liefern sollte.

Kritik

Trotz dem Umstand, dass wir hier einige Kritikpunkte gesammelt haben, soll nicht der Eindruck entstehen, wir hätten den BuKo nicht genossen ;-)

  1. Veranstaltungsformen nicht klar: Workshop / Vortrag / Offene Veranstaltung? 

    Selbst den Referierenden war zum Teil nicht klar, welche Veranstaltungsform sie bedienen sollten. So waren Workshops plötzlich reine Vorträge und Referierende fragten sich,  was ihre offene Veranstaltung ausmachte. Auch das etwas unübersichtlich gestaltete Programmheft brachte hierzu keine Erhellung.

  2. „It’s all about the fame“ oder „Alles nur für’s Sozialkapital“

    Von drei Vortragenden erfuhren wir, dass sie auf dem BuKo unentgeltlich Veranstaltungen anboten. Zwar können die Referierenden diese Veranstaltung  in ihrem curriculum vitae mit aufnehmen, darüber hinaus fand jedoch keine wirkliche Honorierung statt.

  3. Von A nach B nach A nach C: Veranstaltungsorte zu weit auseinander

    Für Ortsunkundige waren die drei Veranstaltungsorte (EHD & h_da sowie Sporthalle am Böllenfalltor) zu weit auseinander gelegen bzw. die Zeit zwischen den Veranstaltungen zu knapp bemessen. So wurde zum Teil aus der akademischen Viertelstunde eine halbe.

  4. Lukullische Speisen

    Die auf dem Programmheft angekündigten lukullischen Speisen während der Veranstaltungen am Böllenfalltor boten Fleischfreund_innen ein multisensuales Erlebnis: Die Halle war während einiger Vorträge mit dem Duft frischer Bockwürste ausgefüllt. Für Vegetarier_innen gab es ein, für Veganer_innen kein einziges warmes Gericht. Vereinzelt sah man Besucher_innen des Kongresses mit eigens mitgebrachten Sojamilchpackungen, die den 2-Euro-Kaffee (am Böllenfalltor) versüßen sollten.

Von Benedikt Geyer

Mein Name ist Benedikt Geyer. Auf meiner Seite verblogge ich Interessantes rund um die Soziale Arbeit & neuere Medien und deren gegenseitige Wechselwirkung.